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'Je länger ich bei O.M.A. arbeite, desto weniger verstehe ich,
wie Architektur entwickelt wird', sagte mir neulich ein ehemaliger Kollege
von O.M.A., als wir über seine Arbeit sprachen. Hat das Büro
den Charakter eines zenbuddhistischen Klosters, in dem den Gläubigen
Ihre Gewißheiten systematisch zerstört werden, um ihnen das
'Eigentliche' zu offenbaren? Wie arbeitet ein Büro, zu dessen Regeln
es gehört, keine Regeln zu haben? Das ständig der eigenen
Geschichte und der unvermeidlichen Ausbildung eines Repertoires oder
Stils zu entkommen versucht; das zeitgenössisch sein will und sich
zugleich bemüht, jede Ähnlichkeit zu anderer zeitgenössischer
Architektur zu vermeiden. Sicherlich, es gibt keine Methode oder Rezept.
Jedes Projekt hat seine eigene Geschichte. Doch gibt es eine Reihe von
Voraussetzungen und Parameter, die für den Entwurfsprozeß
charakteristisch sind.
Eine
wichtige Bedingung ist, daß der Großteil der Mitarbeiter
recht unerfahren und jung ist. Nicht nur, daß sie für relativ
wenig Geld unglaublich viel arbeiten, und es damit erlauben, tausend
Ideen zu verfolgen, auszuprobieren und zu verwerfen, was kein Auftraggeber
jemals bezahlen wollte oder auch nur könnte. Entscheidend ist vielmehr
ihre Naivität, mit der sie sich ihrer Aufgabe nähern.
In Unkenntnis dessen, wie üblicherweise das Problem gelöst
wird, können sie mit einer kindlichen Unbefangenheit herumexperimentieren
und neue Ideen entwickeln.
Wie aber
läßt sich dieses Potential verbinden mit dem notwendigen
Fachwissen, der erforderlichen technischen Intelligenz oder auch einem
Verhandlungsgeschick, ohne von Konventionalität eingeengt zu werden?
Kompetenz taucht bei O.M.A in zweierlei Weise auf: Zum einen
in Form von langjährigen Mitarbeitern, die als Studenten oder Studienabgänger
ins Büro gekommen sind und innerhalb von O.M.A. ihre Erfahrung
gesammelt haben, die gelernt haben, ihre Kompetenz für, und nicht
gegen eine experimentelle Entwurfspraxis einzusetzen. Zum anderen durch
externe Ingenieure oder Consultants, deren Urteil großes Gewicht
hat - jedoch nicht, daß sie Lösungen vorschlagen und durchsetzen
können, sondern in dem sie die Ideenproduktion aus ihrer Sicht
kommentieren, bewerten und so grundsätzlich wie möglich Anforderungen
formulieren, anhand derer O.M.A. neue Lösungen entwickeln kann.
Zudem sollen sie innovative Vorschläge in ihrer Disziplin entwickeln,
ohne deren konkrete Form festzuschrieben. (O.M.A. ist nicht bereit,
den Technikern das Feld der Umsetzung zu überlassen. Das Büro
verfolgt eine Strategie der Ausweitung, um möglichst viele Aspekte
in den Entwurfsprozeß einzubeziehen) Die Idee dabei ist, die Kompetenz
der Ingenieure gegen die Konventionalität ihres Berufes zu wenden.
Sie werden immer wieder mit einer Unmenge von naiven, intelligenten
oder abstrusen Vorschlägen konfrontiert. Und manchmal gelingt es,
zu völlig neuen, überraschenden und doch sehr einfachen Lösungen
zu kommen, wie z.B. bei der Deckenkonstruktion des Educatoriums in Utrecht.
Rem's
Rolle im Entwurfsprozeß ist bei einzelnen Projekten sehr unterschiedlich:
Bei manchen Projekten gibt er zu Beginn eine abstrakte Idee vor oder
macht einige Skizzen, die den groben Rahmen abstecken, bei anderen Projekten
suchen die Mitarbeiter Wochen, gar Monate nach einem Konzept und Rem
hält sich zurück, da er zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt
ist oder selber noch keine Idee hat, wie das Projekt zu entwickeln ist.
Rems Vorgaben sind meist so vage, seine Präsenz über lange
Zeiten nur punktuell und seine Distanz zum Entwurfsteam so groß,
daß einige Mitarbeiter meinen, er sei eigentlich gar kein Entwerfer,
sondern seine Mitarbeiter produzierten die Architektur. Doch wenn man
die Entwicklung der Projekte analysiert, so sieht man sehr deutlich,
das die meisten der entscheidenden Ideen von Rem stammen. Die Art seiner
Involvierung ist nicht nur durch Effizienz begründet - wie kann
eine einzelne Person die Kontrolle über drei, fünf oder mehr
Projekte bewahren - sondern sie ist ebenso eine Entwurfsstratgie.
Die Distanz
zwischen Entwurfsteam und Rem führt zu einer großen Flexibilität:
Jederzeit kann die Richtung unerwartet gewechselt werden, und dies geschieht
um so eher, je mehr sich das Entwurfsteam auf eine Lösung oder
ein Problem versteift. Die Arbeit von Tagen oder Wochen kann dann in
einer Minute ohne viel Diskussion verworfen werden.
Rem gibt
keine Direktiven, sondern er inittiert Prozesse. Er interveniert, versucht
neue Ideen zu stimulieren, zeigt Möglichkeiten auf. Seine Vorgaben
sind vage, beschrieben eher eine Intention und müssen interpretiert
werden. Wenn man seine Vorschläge jedoch zu wörtlich nimmt,
reagiert er ungehalten, fragt, warum man nicht andere Möglichkeiten
untersucht und sich mit anderen Fragestellungen befaßt hat.
Um den
Entwurfsprozeß weiter aufzubrechen, werden zuweilen andere Mitarbeiter
kurzfristig zugezogen. Das Team oder Rem stellen das Projekt langjährigen
Mitarbeitern des Büros vor und diskutieren es mit ihnen. Solche
Meetings können großen Einfluß auf die Weiterentwicklung
des Projektes haben. Diese Form der Intervention kann auch auf eine
kurzfristige Mitarbeit projektexterner Architekten ausgedehnt werden:
Sie bearbeiten dann für einige Tage einen Teilaspekt des Projektes
und können dabei den Entwurf erheblich verändern. Die externen
Mitarbeiter durchkreuzen mit geringer Ehrfurcht vor dem bisher Erreichten
die Intentionen ihrer Kollegen, was es ihnen zugleich viel leichter
macht, substantielle neue Ideen zu entwickeln.
Grundsätzlich
scheint beinahe jede Form der Destabilisierung willkommen zu
sein. Es ist eher unwahrscheinlich, daß das Team, welches ein
Projekt begonnen hat, es auch bis zur Realisierung weiterführt.
Es kann passieren, daß ein Team nach durchgearbeiteter Nacht und
Zwischenpräsentation ins Büro kommt, die Arbeitsplätze
von Kollegen in Beschlag genommen wurden und das Team sich neue suchen
muß. Überhaupt gibt es im Büro keinerlei persönliches
Eigentum: Jeder Tuschestift, jede Klebefolie oder jedes Geodreieck,
das man sich mühselig organisiert hat, ist binnen Stunden oder
Tage wieder verschwunden. Und es würde wohl kaum jemanden im Büro
überraschen, wenn man ihm morgens erklären würde, er
müsse noch am selben Tag wegen eines Projektes für ein paar
Tage nach Hanoi fliegen. Stillschweigend wird eine 100% Verfügbarkeit
der Mitarbeiter vorrausgesetzt - 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche,
365 Tage im Jahr, Weihnachten ausgenommen.
Auch
auf einen vermeintlichen 'Status' sollte man sich nicht zuviel einbilden.
Natürlich gibt es einige langjährige Mitarbeiter, deren Urteil
besonderes Gewicht hat, die im Büro über Einfluß und
Macht verfügen, und die in der Regel die Projekte leiten. Doch
bei der Arbeit am Entwurf kann sich eine gute Idee eines jungen Mitarbeiters
gegen die Intention des Projektleiters durchsetzen. Und auch wenn die
Projektleiter die Kommunikation im Büro kontrollieren, so wird
dies von Rem zuweilen spontan unterlaufen.
Ein anderer
Fehlschluß wäre, zu meinen ein Projekt wäre 'fertig'.
Es kann noch wenige Stunden vor einer Präsentation oder dead-line
passieren, daß Rem den Entwurf ändern will, das Modell, die
Zeichnungen oder Collagen. Dann spielt kein Kosten- oder Zeitargument
eine Rolle, zur Verzweiflung des Financial Directors und zum Fluch der
Mitarbeiter, die im letzten Moment noch alles ändern müssen.
Wenn
man in diesen Prozeß involviert ist, kann man manchmal über
die Ineffizienz und die Abwesenheit einer konventionellen 'Professionalität'
verzweifeln. Doch letztendlich muß man feststellen, daß
die Nichtlinearität des Entwurfsprozesses, das Fehlen von
Routien oder einem etablierten Kanon an Methoden oder Lösungen
grundlegend für die Qualität der Arbeiten des Büros sind.
Der vermeintlich chaotische Prozeß macht gerade die andersartige
Professionalität des Büros aus. Es ist bezeichnend, daß
Rem gerade dann ein Projekt skeptisch beurteilt, wenn es sich ohne große
Konflikte, Krisen und Brüche kontinuierlich entwickelt hat. Und
seine Abneigung gegen die Ausbildung eines Repertoires ist so groß,
daß er einmal sein Buch 'SMLXL' aus dem Büro verbannen wollte.
Die Ambition
des Büros ist es, den Entwurfsprozeß so zu strukturieren,
daß ein Maximum an Einflüssen, Kriterien und Idee einbezogen
werden. Nichts soll voreilig ausgeschlossen oder festgelegt werden.
Vielmehr geht es darum, Möglichkeiten zu entdecken und auf
ihr Potential zu untersuchen. In der Entwurfspraxis heißt dies,
daß zu jeder Fragestellung eine Vielzahl von Alternativen entwickelt
und untersucht werden. Jede dieser Optionen soll eine eigene, interessante
Idee artikulieren, deren Essenz zumeist auch mit einem Begriff charakterisiert
wird (wie z.B.:'Donkey Kong', 'Mixing Chamber' oder 'Mies Wrap'). Solange
eine Idee interessant ist, gibt es zunächst keinen Grund, sie von
vorneherein auszuschließen: Sie mag auf den ersten Blick noch
so undurchführbar, aufwendig oder absurd erscheinen, zunächst
einmal wird ihr Potential untersucht.
Die Alternativenbildung
stellt die Basis für eine quasi evolutionären Entwurfsprozeß
her. Die möglichen Entwicklungen einer Entwurfsaufgabe werden aufgezeigt
und ein Know-How über das Problem (Programm, Standort, Techologie,
Restriktionen etc.) entwickelt. Dies schafft einen Nährboden, auf
dem die eigentlichen Ideen dann oft spontan entstehen.
Das Arbeiten
mit Alternativen ist die Basis einer Entwurfshaltung, die gleichermaßen
die Beliebigkeit eines 'künstlerischen Einfalls' wie die Linearität
funktionaler, konstruktiver oder architekturtheoretischer Herleitung
von Entwurfsideen ablehnt. Bezeichnenderweise werden auch dann noch
zahllose Alternativen untersucht, wenn bereits zuvor eine offensichtlich
brilliante Idee aufgekommen ist. So hatte Rem bereits zu Beginn des
IIT Projektes die grundlegende Idee, doch trotzdem hielt er das Team
dazu an, über Wochen völlig andere Ideen zu entwickeln und
zu untersuchen. Da dann aber keine der neu entwickelten Optionen mehr
überzeugen konnte, wurde zur Ausgangsidee zurückgekehrt.
Dieses
sisyphosartige Vorgehen mag einem völlig ineffizient erscheinen,
aber doch erweißt es sich als äußerst fruchtbar: Zum
einen ist es unverzichtbar, um die Relevanz von Ideen in einer Art der
Selbstkritik überprüfen zu können. Darüber
hinaus ensteht somit ein großes Resservoir an Ideen, was ständig
aktualisiert und erweitert wird. Auch wenn zuweilen diese Arbeit das
konkrete Projekt nur geringfügig beeinflußt, so kann es zur
Quelle der Inspiration für ein anderes Projekt werden und zu einer
'Überkreuzbefruchtung' führen, wie z.B. eine der Optionen
für das ZKM Karlsruhe zur Grundidee für die Tres Grand Bibliotheque
in Paris wurde (siehe SMLXL, S. 626). Das ständige Nachdenken über
Alternativen hält den Entwurfprozeß flüssig.
Ein typischer Kommentar von Rem ist "why don't you try ...?".
Die Mitarbeiter werden angehalten, ständig neue Möglichkeiten
zu untersuchen und nicht auf eine von ihnen favorisierte Lösung
einzuengen. Dieses Vorgehen befreit den Arbeitsprozeß von den
persönlichen Vorlieben der einzelnen Mitarbeiter. Oft ist es unmöglich,
den 'Autor' einer Entwurfslösung ausmachen zu können, zumal
sich die verschiedenen Ideen wechselseitig beeinflussen und bereichern.
Der Entwurf entwickelt sich aus einer Ideenkonkurenz. Eine Vielzahl
von Kriterien - rationaler wir intuitiver, konzeptioneller wie funktionaler
- führen schließlich dazu, daß sich die tragende Entwurfsidee
aus der Vielzahl von Möglichkeiten herausschält.
Die Festlegung
auf eine Lösung oder - genauer gesagt - das Herausfiltern einer
Lösung aus dem Fundus an Ideen geschieht extrem spät, die
Alternativen werden über eine lange Zeit parallel entwickelt. Die
Entscheidung wird so lange wie möglich verzögert, weil
sie immer den Verlust anderer Möglichkeiten, eine Einengung mitbeinhaltet.
Die Entscheidungen
trifft Rem persönlich, wobei er sehr oft andere Leute nach ihrem
Urteil fragt und zuweilen Diskussionen initiiert. In diesen Prozeß
können gleichermaßen Projektleiter wie Praktikanten, Teammitglieder
wie Besucher des Büros einbezogen werden. Beinhaltet die Fragestellung
konstruktiv-technische Frage, ist die Befürwortung der Lösung
durch einen Fachingenieur eine unverzichtbare Voraussetzung.
Hat sich
eine Entwurfsidee einmal etablieren können, wird sie im weiteren
Verlauf als Gegebenheit angesehen und alle zukünftigen Entwicklungen
müssen sich mit ihrer Existenz auseinandersetzen. Wie bei einem
wachsenden Organismus baut die weitere Entwicklung auf dem Vorhandenen
auf. Neues kann das Bisherige modifizieren, in seiner Bedeutung verändern,
aber meist nicht mehr beseitigen. Dieses 'Einfrieren' von Elementen
in einem sonst ungerichten, nicht-linearen Prozeß ist wichtig,
damit die Projekte eine Tiefe und Vieldimensionalität entwickeln
können. Wesentliche architektonische Elemente, die während
der Entwurfsarbeit eine große Relevanz gewonnen haben, erlangen
so eine Autonomie und werden selbst dann beibehalten, wenn ihre Entstehungsbedingungen
entfallen sind und sie damit ihre ursprüngliche Bedeutung verloren
haben. Auf diese Weise findet man in vielen Projekten Elemente, die
sich nicht unmittelbar aus dem Konzept erklären, sondern nur aus
der Entwicklungsgeschichte des Projektes zu verstehen sind, wie z.B.
die schräge Eingangstür der Villa Floriac oder der 'Corporate
Beam' des Universal Headquarters.
Handelt
es sich bei Entwurfsentscheidungen jedoch nicht um Schlüsselelemente,
sondern um Teilsapekte, so geschieht es durchaus, daß zunächst
verworfene Optionen im weiteren Verlauf der Arbeit wieder aufgegriffen
werden. Dies geschieht, wenn durch die Weiterentwicklung des Projektes
neue Kriterien aufgetaucht sind.
Ist einmal
eine Grundidee gefunden, ergibt sich aus dieser keineswegs linear und
folgerichtig die weitere Ausformung des Projekts. Vielmehr kann die
Grundidee auf anderen Maßstabsebenen, durch andere Elemente oder
auch in ihrer technischen Ausführung wie in ihrer architektonischen
Artikulation verwässert oder kontaminiert werden.
Dahinter steht der Wunsch, in den Entwurfsprozeß möglichst
viele Ideen zu integrieren. Nicht Klarheit und Einfachheit, sondern
Dichte und Intensität, Anreicherung und Akkumulation ist das Ziel.
Diese
Entwurfshaltung erlaubt ein Eingehen auf 'Störungen' von außen,
seien sie technischer, baurechtlicher oder anderer Art: Kräfte,
die von außen auf das Projekt wirken, werden, selbst wenn sie
zunächst die ursprüngliche Konzeption in Frage stellen, nicht
als 'feindlich' betrachtet, sondern als potentielle neue Qualitäten,
die das Projekt bereichern können. Gerade aus dem Konflikt zwischen
urspünglichen Ambitionen und pragmatischen Anforderungen entstehen
häufig die stärksten Momente der Projekte. Der Entwurf evolviert
aus einem Kräftespiel zwischen Intention und äußeren
Kräften in einer Art Dialog. Spezifische Formen enstehen nie als
'künstlerische Setzung', sondern immer aus einer solchen Wechselwirkung.
Sehr wohl gibt es Ideen, deren Dominanz erhalten bleibt, doch geht es
nicht darum, sie in 'Reinform' zu bewahren. Entwurfsideen werden als
Rohmaterial betrachtet, das bis an die Grenze der Lesbarkeit
modifiziert werden kann.
Neben
dem Prozeß der Deformation und Kontaminierung gibt es noch eine
zweite Wirkungsweise äußerer Einflüsse: Während
des Entwurfsprozesses wird ein Übermaß an Ideen für
die Ausformulierung der Leitgedanken bzw. einzelner Aspekte des Projektes
generiert. Durch die Konfrontation mit äußeren Anforderungen
(Bauherrenwünsche, Kosten, Technik) geht ein guter Teil dieser
Ideen verloren, doch ein substantieller Teil bleibt bestehen. Aus dem
Übermaß von Ideen werden die 'überlebensfähigen'
herausgefiltert. Dieses Vorgehen bewahrt dem Projekt nicht nur eine
Offenheit für Einflüsse von außen, sondern erlaubt auch
die Formulierung frivoler oder riskanter Ideen. Es findet keine Selbstzensur
im Vorausgriff auf zu erwartende Beschränkungen statt, sondern
diese werden im Dialog ausgehandelt.
Im Büro
selbst wird ein Filtern der zahllosen Ideen zur Vorbereitung
auf eine Präsentation vorgenommen. Nach einer Phase möglichst
breiten, aufgefächerten Arbeitens und Experimentierens werden gegen
Ende einer Entwurfsphase die entstandenen Ideen in Bezug zum Gesamtprojekt
gesetzt. In diesem Prozeß der Fokussierung werden die einzelnen
Ideen und Aspekte auf ihre Relevanz für das Gesamtprojekt überprüft
und gewichtet. Unwichtiges oder Störendes wird herausgefiltert,
um eine Verständlichkeit für die Präsentation, für
die Kommunikation mit der Jury oder dem Bauherren zu erzielen.
In diese
Phase unternimmt Rem die - ansonsten so verpönten - formalen Interventionen.
Sie erfolgen gegen Ende, wenn das Konzept steht, und sollen keinen Entwurf
ersetzen, sondern einen bestehenden abrunden.
Ein weiterer
wichtiger Einfluß ist der Faktor Zufall. Zufälle können
in der Entstehung und Entwicklung eines Projektes entscheidenden Einfluß
gewinnen und zuweilen wird das Potential eines Zufalls gezielt verstärkt.
So geschah beispielsweise eine Auftragserteilung an das Büro zufällig
aufgrund eines irrtümlichen zugestellten Faxes, bei einem anderen
Projekt konnte die zufällig aufgetauchte Verpackung eines japanischen
Fächers die wochenlange vergebliche Suche nach einem geeigneten
Baukörperkonzeption spontan beantworten. Immer wieder gibt es solche
'objets trouvés', die in entscheidenden Momenten Eingang
in den Entwurf finden, und dann werden sie erstaunlich wörtlich
genommen, in ihren exakten Abmessungen und Proportionen, in ihrer Farblichkeit
oder Textur. Ebenso werden auch konkrete und abstrakte Gegebenheiten
des Baugrundstücks manchmal unmittelbar und ungefiltert in den
Entwurf eingebunden - sei es die Materialität des Baugrundes, eine
provisorisch-informelle Durchwegung oder Abstandsregeln und Zoning-laws.
Diesem Vorgehen liegt der ständige Wunsch nach 'Non-Design' zugrunde.
Und doch ist es erstaunlich, welche Rolle O.M.A: dem Zufall einräumt,
ist das Büro doch sonst immer bemüht, jegliche Form von Beliebigkeit
zu vermeiden. Hierin zeigt sich eine Referenz zur klassischen Avantgarde,
zu Dadaismus und Surrealismus, die auch immer wieder den Zufall eingesetzt
haben, um das Andere, das Ausgegrenzte, das Verdrängte, das Unbewußte
ins Spiel zu bringen.
Als wir
neu zu O.M.A. kamen, dachten wir, im Büro würde ein theoretischer
Diskurs geführt und dieser beeinflusse, ja fundiere die Arbeit.
Doch es dauerte nicht lange, um zu bemerken, daß nicht viel diskutiert,
sondern vor allem produziert wird: Skizzen, Modelle, Zeichnungen, Collagen,
Diagramme, Faxe, Computerperspektiven. Für die Arbeit im Büro
ist es wesentlich wichtiger, die James Bond Filme zu kennen als die
theoretischen Diskurse von Eisenman oder Kipnis, Deleuze oder Derrida.
Rem macht eine klare Trennung zwischen seiner theoretischen Arbeit und
der Produktion im Büro.
Das Büro
ist mehr von einer amerikanischen als europäischen Mentalität
geprägt: Produziere, kritisiere und hinterfrage nicht, diskutiere
nicht, zeige unbegrenzten Einsatz, erwarte keine Solidarität von
deinen Kollegen - don't worry - be happy. Nicht von ungefähr sind
fast alle Projektleiter aus den USA.
Es ist
offensichtlich, daß zuweilen mehr Reflektion eine Menge an Leerlauf
ersparen könnte und in der Abwesenheit eines kritischen Diskurses
offenkundig eine Schwäche des Büros liegt - diese Rolle bleibt
im wesentlichen Rem selbst überlassen. Zum einen liegt dies in
der trotz aller Freiheiten letztendlich recht autoritären
Struktur des Büros begründet - wer möchte schon etwas
bewerten und kritisieren, wenn Rem kurz darauf vielleicht die gegenteilige
Meinung vertritt und man damit bloßgestellt wird. Selbst langjährige
Projektleiter sind oft nicht in der Lage, Rems Urteil vorauszusehen.
Zum anderer
fördert auch Rem keinen theoretischen Diskurs innerhalb des Büros,
vermutlich weil er befürchtet, daß ein theoretisches Herangehen
den Entwurfsprozeß eher einengt als aufweitet. Ein theoretisches
Vorgehen führt meist zu eindeutigen Kategorien, monokausalen Strukturen
und linearen Schlußforderungen, was den Intentionen von O.M.A.
widerspricht. So ist es denn auch nicht verwunderlich, daß nicht
textliche, sondern visuelle Methoden den Entwurfsprozeß dominieren.
Rem reagiert nur auf das, was zu sehen ist, als Diagramm oder als Modell.
Das Diagramm
dient vor allem in frühen Phasen zur Entwicklung und Klärung
von Ideen und ist zudem unverzichtbar, um per Fax zu kommunizieren.
50% der Zeit ist Rem unterwegs ist - in USA, Asien oder Europa, bei
Auftraggebern, auf Baustellen, an Hochschulen, zu Vorträgen oder
einfach bei sich zu Hause in London - und möchte täglich über
die Entwicklung der Projekte informiert werden. So sichten die Teams
gegen Abend die Resultate des Tages, strukturieren und selektieren das
Material und reduzieren es auf seine Essenz - in kleinen, leicht fax-
und lesbaren Diagrammen, kurzen Erläuterungen und suggestiven
Mottos - auf 10, 20 oder gar mehr A4 Seiten. Die Notwendigkeit, jemandem
'Externen' die Ergebnisse klar verständlich mitteilen zu müssen,
führt zu einer Reflexion über die ansonsten eher ungerichtete
Produktion, zu einer Reduktion der Fülle von Optionen auf das Wesentliche
und zur Überprüfung, ob neue Gedanken und Ideen mit dem Grundkonzept
übereinstimmen.
Von den
brauchbaren Ideen werden Konzeptmodelle angefertigt, wobei diese Modelle
oft eine unmittelbare Umsetzung eines Diagramms in die dritte Dimension
darstellen. Sie müssen nicht durch Schönheit, sondern durch
Klarheit überzeugen: Oft sind sie aus blauem Polystyrol, harsch,
direkt und abstrakt. Ist jedoch die Grundkonzeption gefunden, werden
die Arbeistmodelle bunt und aus spezifischen Materialien erstellt. Bereits
sehr früh werden mit ihrer Hilfe Ideen von Materialität und
Farbigkeit entwickelt. In der weiteren Arbeit werden die frühen
Konzeptmodelle immer wieder herangezogen, um zu prüfen, ob die
ursprüngliche Intention bei der Ausarbeitung nicht an Prägnanz
verloren hat. Sie setzen einen Maßstab und dienen als Korrektiv,
damit trotz zunehmenden Realismus die konzeptionell-architektonische
Qualität nicht geschwächt wird.
Formen
entstehen zuweilen aus der Übersetzung eines Diagramms in ein Konzeptmodell,
das dann auch als konkretes Modell mit Maßen und Proportionen
gesehen wird. Rem versucht meist, an den intuitiv gesetzten Proportionen
und Abmessungen des Konzeptmodells festzuhalten. Erst wenn es aufgrund
äußerer Kräfte (Kosten, Technik etc.) unvermeidbar ist,
werden die Proportionen verändert, wobei dies die ursprüngliche
Intention meist gar nicht beeinträchtigt. Trotzdem gibt es ein
Insistieren auf der ersten Artikulierung, sozusagen eine Resistenz gegen
äußere Zwänge.
Rem liebt
Modelle. Er kann sie anfassen, in die Hand nehmen und manipulieren.
Die Arbeitsmodelle sind veränderbar, Teile können hinzugefügt
oder herausgenommen werden und viele Ideen werden so am Modell entwickelt.
Empört reagiert Rem, wenn Elemente im Modell schon festgeklebt
werden und somit eine Endgültigkeit suggeriert wird, obwohl sie
noch in Diskussion sind.
Das Modell
ist das Werkzeug, in dem die Gesamtheit der Ideen in Ihrer Wechselwirkung
und in Bezug auf den Kontext untersucht werden, mit dem Proportionen
überprüft und räumliche Beziehungen getestet werden.
Die mit dickem, schwarzem Stift gezeichneten Diagramme hingegen dienen
der Klärung von Konzepten und der isolierten Untersuchung einzelner
Parameter.
Wenn
man sich bewußt macht, wievielen Einflüssen ein Entwurf über
die Zeit ausgesetzt ist, so wird einem die Komplexität und Vielschichtigkeit
der Resultate verständlich. Die einzelnen Ideen, Elemente, Aspekte
und Qualitäten eines Projektes entspringen einem nicht auflösbaren
Geflecht von Einflüssen. Daß sie zugleich eine Prägnanz
und Kohärenz bewahren, wird durch die kontinuierliche Überprüfung
der Wirkung am Modell gewährleistet. Es dient dazu, daß die
Intention verständlich bleibt und die Projekte sich nicht in dem
offenen Prozeß verselbstständigen.
Wir danken unseren (ehemaligen) Kollegen Gro Bonesmo, Minsuk Cho, Wilfried
Hackenbroich und Julien Monfort für Gespräche über ihre
Erfahrungen bei und mit O.M.A..
P.S.: Wenn Sie meinen, sie hätten jetzt verstanden, wie OMA arbeitet,
dann haben Sie sich gründlich getäuscht. Alles was wir beschrieben
haben, werden Sie im Büro finden, aber ebenso das genaue Gegenteil.
Sollten sie zufällig selber in nächster Zeit in dem Büro
anfangen zu arbeiten, so wird ihnen das alles nicht viel helfen. Wenn
man bei O.M.A. arbeitet, dann ist die einzigste Gewißheit, das
es keine Gewißheit gibt. Und selbst darauf können Sie sich
nicht verlassen ...
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