Philipp Oswalt | 2001
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Rechte Gewalt und öffentlicher Raum

Der öffentliche Raum ist für die möglichen Opfer rechtsradikaler Gewalt nicht mehr sicher. Sie laufen dort in Gefahr, bedroht, beleidigt, verletzt oder gar ermordet zu werden. Bei unzähligen Übergriffen wurden in den letzten 10 Jahren in Deutschland 93 Menschen[ 1 ] von Rechtsradikalen ermordet, tausende verletzt. Geschehen ist dies in den Großstädten wie auf dem Lande, am Tage wie in der Nacht, in Bayern wie in Brandenburg. Die Taten ereignen sich im öffentlichen Raum – und sie haben diesen verändert. Wie wirkt sich die rechtsradikale Straßengewalt auf das Verhalten der Menschen im öffentlichen Raum aus? Und welche Rolle spielt der öffentliche Raum für die Ausübung rechtsextremer Gewalt?
Anfang der 90er Jahre formulierten rechtsradikale Ideologen das Konzept der sogenannten 'National befreiten Zonen': 'Es geht keinesfalls darum, eigenständige staatliche Gebilde oder ähnlichen Unsinn ins Leben zu rufen. Nein, befreite Zonen bedeutet für uns zweierlei. Einmal ist es die Etablierung einer Gegenmacht. Wir müssen Freiräume schaffen, in denen wir faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind, d. h. wir bestrafen Abweichler und Feinde, wir unterstützen Kampfgefährtinnen und -gefährten, wir helfen unterdrückten, ausgegrenzten und verfolgten Mitbürgern. Das System, der Staat und seine Büttel werden in der konkreten Lebensgestaltung der politischen Aktivisten der Stadt zweitrangig. Entscheidender wird das Verhalten derer sein, die für die Sache des Volkes kämpfen, unwichtig wird das Gezappel der Systemzwerge sein. Wir sind drinnen, der Staat bleibt draußen.'[ 2 ]
Eine Realisierung dessen ist nicht erfolgt. Es gibt keine 'No-go-Areas', in denen die gewalttätige rechte Szene den Raum beherrscht. Sie setzt nirgendwo die staatliche Gewalt außer Kraft.[ 3 ] Sie übt keine Herrschaft im Sinne einer institutionalisierten Macht aus. Und doch hat sie den öffentlichen Raum entscheidend verändert.
Die Gewalt gegen die Opfer erfolgt fast ausschließlich aus einer für die Angreifer sicheren Situation der kräftemäßigen Überlegenheit, in der Regel steht eine Gruppe gegen Einzelpersonen. Dies ist eigentlich das einzige klare Merkmal, das den Vorkommnissen gemeinsam zu Grunde liegt. So sind von den 27 in der Cottbusser Chronologie für das Jahr 2000 geschilderten Gewalttaten mit einer Ausnahme alles Beispiele, bei denen die Opfer von einer zahlmäßig um ein Vielfaches übermächtigen Anzahl rechtsradikaler Täter angegriffen wurden.
Ansonsten zeichnet sich rechte Gewalt durch ihre Diffusität aus: Sie kann fast überall auftreten, sie kann sich fast jederzeit ereignen und sie kann fast jeden treffen. Eine exemplarische Betrachtung der Vorkommnisse in Cottbus im Jahr 2000 zeigt, dass im gesamten Stadtgebiet Gewalttaten vorkommen und sie somit räumlich kaum lokalisierbar sind. Auch lassen sich nicht bestimmte Raumtypen feststellen, auf die sie eingegrenzt werden können: es passiert in der Trambahn und auf der Straße, an Hauseingängen und Bushaltestellen, in der Schule oder im Einkaufszentrum, an der Tankstelle oder auf dem Volksfest.
Zwar gibt es Orte mit stärkerer rechter Präsenz (und damit höherer Wahrscheinlichkeit für Straftaten), und Orte rechter Infrastruktur (Jugendclubs, Tankstellen, Schulen, Wohnungen usw.), doch die Vorkommnisse lassen sich hierauf nicht eingrenzen. Selbst die Zielgruppe ist nicht eindeutig abgrenzbar und umfasst potentiell jeden, der nicht rechts ist.
Die Gewalttäter sind nicht politisch oder anderweitig organisiert. Doch auch wenn sie keine geschlossene Ideologie verfolgen, sondern lediglich diffuse Vorstellungen und platte Feindbilder haben, sind die gewalttätigen Rechten doch gesellschaftspolitisch wirksam. Aber man scheut sich, die Täter zu benennen; man spricht von 'denen'. Das zeugt weniger von der Unschärfe der Tätergruppe als von dem Wunsch, dem Sachverhalt aus dem Wege zu gehen und ihn klar zu benennen.'Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.' Die unscharfe Wahrnehmung erleichtert die Verdrängung.
Die'rechte Stadtguerilla' kontrolliert den Raum temporär durch die Möglichkeit von Ereignissen. Oft wirkt allein schon die Präsenz rechts erscheinender Jugendlicher. Erkennbar an Haarschnitt, Kleidung und Gehabe, stehen sie in Gruppen an Tankstellen, Bushaltestellen und vor Geschäften - und tun nichts. Sie demonstrieren Stärke und versuchen, andere einzuschüchtern. Das Wissen um die unzähligen Gewalttaten in den vergangenen Jahren und die Möglichkeit, dass sich gleiches wiederholt, führt zu einem ausweichenden Verhalten der Umstehenden und Vorbeigehenden. Dieses Zurückweichen bestärkt die Machtausübung der Rechten im öffentlichen Raum. Dafür muss es gar nicht zu expliziten Gewaltandrohung kommen. Dies kalkulieren die Rechtsradikalen ein. Etwa als sie im Feburar 1999 in Guben Farid Guendoul zu Tode hetzten. Die Täter mussten gar nicht selber Hand anlegen. Von Todesangst getrieben, verletzt sich das Opfer tödlich bei seinem Fluchtversuch.
Zugleich ist der öffentliche Raum der Ort, wo sich die rechtsradikale Subkultur ausbildet.[ 4 ] Man erkennt sich an der äußeren Erscheinung und verbrüdert sich. Auf der Straße finden sich die rechten Cliquen zusammen - und eben nicht am Arbeitsplatz oder in der Schule oder im Sportverein. Exemplarisch war dafür die Ermordung des Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau im Juni 2000. Die drei Täter hatten sich erst wenige Stunden vorher auf dem Bahnhof kennen gelernt. In privaten und gemeinschaftlichen Kontexten verhalten sich Rechte in der Regel unauffällig, ob in der Familie oder als Schüler oder Lehrling. Da muss man sich fremden Regeln unterwerfen und verhält sich angepasst. Der öffentliche Raum hingegen bietet die Möglichkeit, den eigenen Regeln zu folgen.
Mancherorts existiert vorübergehend eine rechte Dominanz, etwa in einem Stadtteil oder einer Kleinstadt für einen Sommer. Dann passen sich nicht-Rechte der Situation an; Jugendliche lassen sich eine Glatze schneiden, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Auch werden bestimmte Orte gemieden wie etwa Clubs, Veranstaltungsorte, Diskotheken, Tankstellen. Zuweilen kontrollieren rechte Jugendliche über einen begrenzten Zeitraum öffentliche Räume; wenn sie etwa am Eingang zur Schule Walkman's auf die mitgeführte Musik überprüfen oder an Bahnhöfen Toiletten oder Telefonzellen als'deutsch” deklarieren und sogenannten 'Nichtdeutschen' den Zugang verwehren. Doch spätestens nach einigen Wochen wird ein solches Tun entweder von der Polizei unterbunden oder den Rechtsradikalen zu langweilig.
Es gibt Orte mit potentieller rechter Dominanz, aber auch Zeiten, etwa nach Ladenschluß oder Einbruch der Dunkelheit, nach Fußballspielen oder an Gedenktagen der Rechtsradikalen wie Hitlers Geburtstag oder Rudolf Hess Todestag. Die Muster von Dominanz sind nicht trennscharf und ändern sich über die Zeit. Während die Menschen am Ort die Änderungen verfolgen und sich arrangieren können, haben Ortsfremde diese Möglichkeit nicht.
Die Bevölkerung geht den Gewalttätern aus dem Weg; die potentiellen Opfer vermeiden die als gefährlich geltenden Orte und Zeiten. [ 5 ] Im Dezember 2000 befragten wir 60 Bürger in Cottbus, ob sie sich im öffentlichen Raum sicher fühlen. Ein Drittel der Befragten fühlte sich unsicher, nahezu ausschließlich aufgrund rechter Gewalt. Sie versuchen deshalb, die als gefährlich geltenden Stadtteile Schmellwitz und Sachsendorf zu bestimmten Zeiten zu umgehen. Mögliche Opfer meiden auch den öffentlichen Nahverkehr nach Einbruch der Dunkelheit.
Doch das Ausweichen vor rechter Gewalt kann im Alltag für den Einzelnen kaum Schutz bieten, da sie überall und jederzeit auftreten kann. In konkreten Konfliktfällen ist das Ausweichen und Wegsehen mit eine Ursache für deren Gefährlichkeit. Immer wieder berichten Opfer von fehlender Hilfeleistung der anderen Anwesenden. Es haben sich unbewusste Verhaltensmuster ausgebildet, die die Auswirkungen rechtsextremer Gewalttaten verstärken oder diese überhaupt ermöglichen. Als Resultat schränkt eine rechtsextreme Minderheit der Bevölkerung die Bewegungsfreiheit anderer Teile der Bevölkerung im öffentlichen Raum erheblich ein.
Wenn der öffentliche Raum der Raum ist, in dem wir dem Anderen, dem Fremden begegnen, dann geht es hierbei um die Abschaffung des öffentlichen Raums; nämlich der Vertreibung derjenigen, die als anders oder fremd deklariert werden.
Wie lässt sich dieser Entwicklung entgegentreten? Zunächst obliegt dem Staat die Aufgabe, den öffentlichen Raum sicherzustellen. Er soll dgewährleisten, dass das Gesetzliche geschehen kann, und das Ungesetzliche unterbunden wird. In der Realität tritt eine zeitliche Differenz zwischen einem gesetzeswidrigen Ereignis und dem potentiellen staatlichen Eingriff auf.
Gleichzeitig prägen aber auch die jeweils Anwesenden den öffentlichen Raum. Da er ein Ort für jedermann ist, fühlt sich zunächst keiner für ihn verantwortlich. Jeder sieht sich als Besucher. Doch zugleich bilden die an einem Ort vorhandenen Personen eine spontane soziale Gemeinschaft. Jeder ist latent für den anderen mitverantwortlich, und dies wird von der Gesellschaft im Gefahrenfall auch eingefordert. Unterlassene Hilfeleistung steht unter Strafe. Versagt jedoch der Gemeinsinn, oder ist kein weiterer Mensch im öffentlichen Raum anwesend, der einem Opfer beistehen könnte, so werden die an den öffentlichen Raum angrenzenden privaten Räume wichtig.
Denn öffentliche Räume sind keine isolierten Gebilde, sondern sie liegen zwischen privaten Räumen, die sie miteinander verbinden und voneinander trennen.[ 6 ] Die Übergänge zwischen öffentlichen und privaten Räumen sind wesentlich für die Ausprägung des öffentlichen Raums. Hinter ihnen liegen halböffentliche Räume (wie etwa Läden) und private Räume (wie etwa Wohnungen). Sie haben indirekt Teil am öffentlichen Raum. Von hier aus ist der Straßenraum einsehbar und von hier aus wird er betreten und wieder verlassen. Je stärker die Kommunikation zwischen diesen Räumen ist, desto besser funktioniert der Straßenraum als öffentlicher Raum.
In privaten Räumen besteht eine klare Verantwortlichkeit, die auch praktiziert wird. Wer auf der Straße bedroht wird und keine Hilfe bekommt, versucht Zuflucht zu finden in halböffentlichen oder privaten Räumen, weil dort die Anonymität aufgehoben ist und die Verantwortlichkeit der Anwesenden eindeutig ist. Aktionen gegen rechtsradikale Gewalt haben sich diese Erkenntnis zu Nutze gemacht, etwa das Programm 'Aktion Noteingang' oder in Cottbus die Initiative 'Cottbusser Zuflucht'. Man signalisiert dem bedrohten Fremden Einlass in den privaten oder halböffentlichen Raum zu geben und Verantwortung für seinen Schutz zu übernehmen.
Dies stellen Versuche da, vom privaten Raum aus den öffentlichen Raum wiederherzustellen. Dies ist ein erster Schritt. Denn es kann nicht darum gehen, nur Zuflucht zu bieten. Die freie Zugänglichkeit und Benutzbarkeit des öffentlichen Raums für jedermann ist wiederherzustellen. Dies erfodert, dass die unbewusst entstandenen, ausweichenden Verhaltensmuster in Konfliktsituation überwunden werden und jeder wieder aktiv den öffentlichen Raum in Anspruch nimmt. Und im Falle eines Konfliktes seiner Verantwortung für Andere gerecht wird.
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Fussnoten :
[ 1 ] Der Tagesspiegel, Sonderdruck 'Todesopfer rechter Gewalt seit der Vereinigung-Eine Bilanz', Januar 2001. Seither haben weitere Ermordungen stattgefunden.
[ 2 ] Vorderste Front, Zeitschrift des Nationaldemokratischen Hochschulbund (NHB), 1993
[ 3 ] Heinrich Popitz, Phänomene der Macht, 1986
[ 4 ] Eine Reihe von wichtigen Gedanken für diesen Artikel verdanke ich Dr. Rainer Erb vom Institut für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, mit dem ich im Dezember 2000 ein längeres Gespräch führte.
[ 5 ] Umgekehrt meiden rechtsradikale Jugendliche Stadtteile, die als 'links' gelten, wie etwa Berlin Kreuzberg oder auch die Cottbusser Innenstadt . Es gibt zwar gezielte Angriffe von Linken auf rechtsradikale Einrichtungen; doch gibt es keine vergleichbare Gewalt gegen Personen. In den letzten 10 Jahren wurde kein Rechter von Linken ermordet. Insofern handelt es sich nicht um die Spiegelung desselben Sachverhalts unter umgekehrten Vorzeichen.
[ 6 ]'In der Welt zusammenleben heißt wesentlich, daß eine Welt von Dingen zwischen denen liegt, deren gemeinsamer Wohnort sie ist, und zwar im gleichen Sinne, in dem etwa ein Tisch zwischen denen steht, die um ihn herum sitzen; wie jedes zwischen verbindet und trennt die Welt diejenigen, denen sie jeweils gemeinsam ist...' Hannah Arendt: Vita Activa, München 1981, S. 66

Philipp Oswalt

erschienen in: Wenn die Glatzen an der Ecke stehen / Die verborgenen Regeln des šffentlichen Raums | Hrsg. Philipp Oswalt | Cottbus | 2001
Quelle : http://www.oswalt.de/de/text/txt/rechte_p.html