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Unser heutiges Dasein ist ein Pendeln zwischen zwei Welten: Dem medialen
Raum der Telematik einerseits, und der physischen Welt anderseits. Doch
was ist das Verhältnis zwischen diesen Sphären? Es gibt die
Vorstellung vom Cyberspace als einer autonomen Realität, eine -
man denke nur an die ungelenken Cyberbrillen und Datenhandschuhe - recht
unattraktive Vorstellung aus den achtziger Jahren. Die vielfältige
Durchdringung beider Welten lässt sich auch nicht mit einer einseitigen
Abhängigkeit beschreiben, der dem medialen Raum eine die physische
Welt abbildende oder dienende Funktion zuweisst.
Etwa
der Mauerfall in Berlin 1989: Er beruhte nicht auf einer bewussten Entscheidung
von Politikern. Westliche Medien spitzten diffuse Äußerungen
des ostdeutschen Regierungssprechers über eine Lockerung der Reisebeschränkungen
zu und interpretierten sie als 'Grenzöffnung'. Neugierig geworden
durch dieses mediale Gerücht, eilten die ersten Ostberliner zu
den Grenzübergangstellen, um 'mal zu gucken, was passiert', und
zogen mehr und mehr Neugierige mit sich. Die durch das Gerücht
verbreitete Erwartungshaltung der sich akkumulierenden Menschenmasse
machte schließlich das Ungeplante unvermeidlich: die Öffnung
der ostdeutschen Grenze und damit das friedliche Ende des Kalten Krieges.
Diese
Episode ist extremes Beispiel einer allgemeinen Tendenz: Mit der Atomisierung
der Gesellschaft im Massenindividualismus und ihrer gleichzeitigen elektronischen
Vernetzung hat sich der öffentliche Raum weitgehend in die Kommunikationsnetze
von Fernsehen, Radio, Computer und Telefon verlagert. Von hier aus bricht
er zuweilen in den realen Raum der Stadt ein. Kleine Ereignisse können
sich dank elektronischer Verstärkung durch die Massenmedien zu
gigantischen Ereignissen aufschaukeln. Die dematerialisierte Urbanität
des Informationszeitalters entzieht sich einer baulichen Manifestation.
Ob die Polenmärkte der späten 80er Jahre, die Blade Night,
Christos Reichstagsverpackung oder die Love Parade: Die Massenereignisse
des letzten Jahrzehnts in Berlin zeigen exemplarisch, wie der mediale
Raum das Geschehen im realen Raum der Stadt beeinflusst, zwischen Selbstorganisation
und Manipulation oszillierend.
Die Wechselwirkungen
zwischen medialem und urbanem Raum können auch repressiven Charakter
annehmen, wie die zunehmende Dominanz von sicherheitstechnischen Kriterien
in stadträumlichen Planungen der letzten Jahre zeigt. In der Scheinwelt
des Fernsehens hat sich seit dem Aufkommen der privaten Sender in den
achtziger Jahren der Anteil der Nachrichten über Gewalt verdoppelt,
während zugleich die Anzahl der schweren Verbrechen rückläufig
war. Gleichwohl, mit der medialen Präsenz von Gewalt stieg die
Angst vor Verbrechen und führte nicht zuletzt zum Bau von Gated
Communities, der Videoüberwachung öffentlicher Plätze
und der Allgegenwart von Sicherheitsdiensten.
Im Informationszeitalter
erweist sich der Wert einer Information nicht an ihrer Faktizität,
sondern an ihrer projektiven Qualität: welchen Stimulus kann sie
auslösen, welche Entscheidungen und Handlungen beeinflussen. Hierbei
kann gerade die Vagheit, die Zweifelhaftigkeit und die Differenz zum
Realen sich als Vorteil erweisen. Das intensive Zusammenspiel von Real
und Medial führt dabei zu neuen urbanen Phänomen jenseits
der klassischen Kategorien von Städtebau und Architektur. '
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