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In der Ausgabe 04 von Zone 7 erschien eine Kritik von Dieter Hoffmann-Axthelm
an meinem Buch 'Berlin_Stadt ohne Form' sowie eine Antwort auf diesen
Artikel von Werner Sewing. Der eine spricht dabei von 'infantilem Gemaule',
der andere von 'Nachhutgefechten', mithin plakativen Begriffen, um die
Arbeit als überflüssig oder lästig zu deklarieren. Dieter
Hoffmann-Axthelm schlägt gleich mehrere Bücher vor, die ich
statt dem geschriebenen hätte schreiben sollen. Und beide Texte
zeichnen sich vor allem darin aus, die eigentlichen Thesen des Buches
zu umgehen und stattdessen veraltete Argumentationsmuster hervorzukramen,
um mir vorzuhalten: Formalismus, Abfeiern des Chaos, Ignoranz des Sozialen.
Ein Teil
der Kritik richtet sich gegen die Begriffe vom 'Formlosigkeit' und 'automatischer
Urbanismus'. Wie sind diese zu verstehen?
'Formlos'
ist ein paradoxer Begriff. Natürlich hat alles, was existiert,
eine Form. Doch der Begriff des Formlosen meint nicht die völlige
Abwesenheit von Form, sondern die Nicht-Intentionalität von Form.
Bezogen auf Berlin meint es, das die Stadt als physisches Gebilde relativ
wenig von Stadtplanung im eigentlichen Sinne geprägt ist, sondern
in ungewöhnlichem Maße von den Nebenwirkungen anderer Prozesse
-militärischen, politischen, ökonomischen oder technologischen
(These 1). Dies ist natürlich auch in anderen Städten der
Fall, doch durch seine spezifische Geschichte ist Berlin ein besonders
deutlicher Prototyp, und damit ein dankbares Studienobjekt.
Und hierauf
bezieht sich auch der Begriff des Automatischen Urbanismus: Das Buch
plädiert nicht - im Gegensatz zur Unterstellung von Dieter Hoffmann-Axthelm
- für den Verzicht auf Stadtplanung, sondern für eine andere
Stadtplanung. Der 'automatische Urbanismus' ist kein stadtplanerisches
Konzept, sondern ein Modell zur Beschreibung real stattfindender Stadtentwicklung,
mithin eine Bestandsaufnahme.
Die These vom automatischen Urbanismus (These 2) meint zudem, dass die
nicht-intendierten Prozesse der Stadtentwicklung kein willkürliches
Chaos erzeugen, sondern dass sich in der Formlosigkeit sehr wohl spezifische
Phänomene, Muster und Strukturen herausarbeiten lassen.
Darauf baut These 3 des Buches auf, die postuliert, dass unintendierte
Stadtentwicklung nicht a priori gut oder schlecht ist. In den neun Essays
wird versucht, die potentiellen Qualitäten jeweils eines identifizierten
Phänomens in Hinsicht auf Form, Struktur, Gebrauch und Bedeutung
herauszuarbeiten.
Wird
damit Städtebau überflüssig? Das Konzept von Planung
ist - schon seit Jahrzehnten - in eine Krise geraten ist.
Mit der Architekturbewegung der klassischen Moderne entstand Anfang
des 20. Jh. das Konzept einer modernen Stadtplanung mit dem Wunsch,
für alle Gesellschaftsschichten gute Lebensverhältnisse sicherzustellen.
Die städtebauliche Zielsetzung war mit einer sozialistischen Gesellschaftsvorstellung
verknüpft. Nach zunächst moderat-reformerischen Ansätzen
radikalisierten sich die Ideen in den 30er Jahren zu Konzepten einer
totalen Planung, wie etwa Corbusiers Entwürfe für eine Stadt
von 3 Millionen Einwohnern oder Ludwig Hilberseimers Planungen für
den völligen Neubau von Washington und Chicago. Man meinte, nach
rationalen Prinzipien eine gute Stadt vom Großen bis zum Kleinen
durchplanen zu können, in einer zeitlosen und damit ewigen Form
und in der Gesamtheit der Stadt.
Auch
wenn dieses Planungsverständnis bald innerhalb der modernen Bewegung
deutlich kritisiert wurde, setzte sich ein solches in den Nachkriegsjahrzehnten
allgemein durch und dominierte bis in die siebziger Jahre.
Mit der Kritik der Moderne fiel in den späten 80er Jahren die Abkehr
von sozialgesellschaftlichen Politikmodellen zusammen. Im Zeitalter
des Neoliberalismus zielt Politik nicht mehr auf den Ausgleich zwischen
verschiedenen Bevölkerungsgruppen und der Sicherstellung einer
gleichwertigen Raumentwicklung, sondern Ziel ist die Stimulierung privater
Investitionen. Damit zielt Stadtplanung mehr auf Standortpolitik, Stadtmarketing
und damit der Schaffung guter Investitionsbedingungen. Eine solche Planungspolitik
hat nurmehr die kapitalstarken, zahlungsfähigen Bevölkerungsschichten
im Auge. Typisch ist für sie die Public-Private-Partnership.
Sie manifestiert
sich räumlich in einem 'Inselurbanismus': investitionsrelevante
Standorte werden als 'Projekte' geplant, die dazwischenliegenden Territorien
verschwinden aus dem öffentlichen Bewußtsein. Beispielhaft
für den Inselurbanismus sind in Berlin Projekte wie der Potsdamer
Platz, Alexanderplatz, Adlershof oder auch die Wohnparks in der Peripherie
wie Karow Nord oder Potsdam Kirchsteigfeld. Selbst das Planwerk Innenstadt
stellt eine solche Insel dar - die der für das Stadtimage wie finanzstarken
Investitionen wichtige 'Downtown'. Es entstehen Enklaven, in denen alles
bis hin zum letzten perfiden Detail geplant ist, etwa der Beeinflussung
des Kaufverhaltens durch Farben, Musik oder den Bodenbelag. Typisch
für diese Planungsinseln sind auch die Privatisierung der quasi-öffentlichen
Räume und deren elektronische Überwachung.
Die Territorien dazwischen, etwa der äußere Mietshausgürtel,
die Siedlungen der zwanziger bis 80er Jahre, oder auch die disperse
Neuansiedlungen seit den 90er Jahren im Umland bleiben außen vor.
Ist dies die einzig denkbare Konsequenz eines Scheitern der 'Totalen
Planung'? Sind wir nicht mehr in der Lage, gesamträumlich zu denken
und zu agieren?
Dies
wäre fatal. In den letzten zehn Jahren sind unter anderem 100.000
Einfamilienhäuser im Berliner Umland entstanden - ohne übergeordnete
planerische Konzepte, die diesen Prozess qualifizieren, während
man seit Jahren über das lächerliche Planwerk streitet. Also
während einerseits das Hauptbaugeschehen ungeplant erfolgt, versucht
man verzweifelt, für eine ideologisch herbeigesehnte, aber an bestehenden
Bedürfnissen vorbeigehende Stadtentwicklung Investoren zu finden.
Vergeblich, da es tendenziell ein Überschuss an Mietwohnungen und
einen Mangel an Eigenheimen gibt, die Berliner Bevölkerung tendenziell
schrumpft und die vorgesehenen Wohnbaustandorte unattraktiv sind, da
zumeist stark immisionsbelastet.
Der Weg des Inselurbanismus zieht aus dem Scheitern der totalen Planung
die Konsequenz des Rückzugs in der Fläche: Nur noch kleine
Bereiche der Stadt planen, dies jedoch mit zunehmender Perfektion. Der
Rest wird seiner Eigendynamik überlassen.
Was wäre
die Alternative hierzu? Den Blick auf das Gesamtterritorium der Stadt
zu bewahren, aber dabei anzuerkennen, dass man nur begrenzt Einfluss
nehmen kann.
Ein exemplarisches Beispiel für eine solche Strategie der begrenzten
Kontrolle finden sich in der Berliner Planungsgeschichte. Die Freiraumplanung
für die Berliner Region, vom Zweckverband Großberlin 1915
begonnen und vom Stadtbaurat Martin Wagner in den 20er Jahren fortgeführt,
ist Beispiel einer solchen großräumlichen begrenzten Intervention:
Mit dem Kauf des Grunewald, des Tegler, Spandauer, Grünauer und
Köpenicker Forsst durch die Kommunen wurden diese dauerhaft als
Grünräume gesichert und von Bebauung freigehalten - wohl die
intelligenteste und erfolgreichste stadtplanerische Maßnahme der
letzten 100 Jahre in Berlin.
Die Stadtplanungspraxis in Barcelona in den 80er und 90er Jahren ist
ein Beispiel aus jüngerer Zeit: Die Planungen für Olympia
wurden als Chance genutzt, durch strategische Eingriffe die Stadt als
Ganzes weiterzuentwickeln. Anstatt inselhaft ein olympisches Dorf anzulegen,
wurden die neuen Programme auf mehrer Stadtteile verteilt, wobei vor
allem Problemgebiete bedacht wurden, um diese aufzuwerten. Zugleich
wurde eine neue gesamtstädtische Infrastruktur und ein Flickenteppich
von Grünräumen angelegt. Nach erfolgreicher Umsetzung wurde
dieser Planungsansatz in die Region ausgeweitet.
Auch
O.M.A.'s bekannter Entwurf für Mélun-Senart ist ein Modell
einer begrenzten Planung - für die Neuplanung einer Stadt. Eine
schwache Planung, die die Tatsache zur Kenntnis nimmt, dass wir Stadtentwicklung
nicht völlig kontrollieren können. Die den 'automatischen
Urbanismus' unserer freiheitlichen Gesellschaft akzeptiert und durch
gezielte Eingriffe versucht, Qualitäten zu erzeugen oder sicherzustellen.
Wer ein
solches Konzept einer begrenzten Kontrolle - wie Hoffmann Axthelm -
als Kapitulation vor dem Chaos bezeichnet und auf dem Inselurbanismus
des Berliner Planwerks beharrt, scheint die reale Stadtentwicklung in
Berlin und anderswo nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen oder zu können.
Ein Generationswechsel
tut dringend not. Es ist ermüdend, immer wieder mit den gleichen
alten Klischees konfrontiert zu werden. Es ist eine totgelaufene, unfruchtbare
Diskussion. Endlich wackeln in Berlin die politischen Seilschaften des
alten Westberlins (wenn auch leider nur vorübergehend); hoffen
wir, dass die architektonischen Seilschaften auch bald wackeln. Bis
heute ist die Berliner Baupolitik und Architekturdiskussion von der
Westberliner Clique der 70er und 80er Jahre bestimmt - ob als Politiker,
Architekten, Theoretiker oder Kritiker. Eine Generation, die selten
über den Tellerrand der Berliner Mauer hinausgeschaut hat und die
nicht in der Lage zu sein scheint, sich selbst zu erneuern oder einer
schon bereits präsenten jüngeren Generation, die - vielfach
von Erfahrungen im Ausland geprägt - einen offeneren Geist vertritt,
den ihr zustehen Platz einzuräumen. Daher täte ein Stadtbaurat
von außen, ob z.B. aus München, Zürich, Wien, oder Barcelona,
der Stadt gut.
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