Philipp Oswalt | 2000
 
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   Urbane Katalysatoren

Wenn ein städtisches Areal zu entwickeln ist, haben wir als Architekten ein klares Modell vor Augen. Es gibt einen Eigentümer oder Investor, der einen Planer beauftragt, ein Bebauungskonzept zu entwickeln. Oder eine Kommune, die einen solchen Entwurf erarbeiten lässt, um anschließend Investoren hierfür zu finden. Die Vorstellung hierbei ist, das mittels Investitionen in bauliche Maßnahmen die Areale neu gestaltet und genutzt werden. Die Hauptakteure sind hierbei der Eigentümer, der Investor und die Kommune. Es wird ein gewünschter Endzustand entworfen, der dann in einen Bebauungsplan übersetzt wird. Manchmal funktioniert dieses Prozedere schlecht - sei es, das der lokale Immobilienmarkt eine schwache Phase durchläuft, sei es, das die Anwohner Widerspruch einlegen, sei es, das Altlasten entdeckt werden oder Altbauten unter Denkmalschutz stehen. Dann zeugt jahrelanger Leerstand von den Schwächen eines solchen Vorgehens. Doch solche Krisen werden kaum zum Anlass genommen, über andere Methoden nachzudenken.

Doch in der jetzigen Krise der Städte in Ostdeutschland scheitert dieses Modell völlig: Eine Millionen Wohnungen sowie zahlreiche Industriebauten, Gewerbeflächen und soziale Einrichtungen stehen leer, die privaten Investitionen bleiben weitgehend aus und die öffentliche Hand ist Pleite, so dass sie die Lücke nicht füllen kann. So besehen besteht kaum eine Handlungsmöglichkeit.

Doch die Krise kann zur Chance werden, zwingt sie uns doch, unsere bisherigen Annahmen zu überdenken und neue Wege zu finden. Und hierbei stellt sich heraus, dass auch in der bisherigen Stadtentwicklung durchaus andere Entwicklungsmodelle existieren. Und diese finden sich genau dort, wo das oben beschriebene Modell scheitert oder sich über Jahre, gar Jahrzehnte verzögert. Denn städtische Brachen sind nicht nur eine Oase für seltene Pflanzen- und Tierarten und einige versponnene Stadtökologen, sondern auch Keimzelle für einen anderen Urbanismus. Und mit Ihnen treten auch andere Akteure auf die städtische Bühne.

Hiermit ist ein weiterer Kritikpunkt am dominierenden städtebaulichen Modell angesprochen. Während die Stadtplanung der klassischen Moderne mit ihren sozialreformerischen Ideologien die Absicht verfolgte, für alle Gesellschaftsschichten gute Lebensverhältnisse sicherzustellen, zielt der Städtebau im Zeitalter des Neoliberalismus auf Schaffung guter Investitionsbedingung und die Stimulierung privater Investitionen. Eine solche Planungspolitik hat nurmehr die kapitalstarken, zahlungsfähigen Bevölkerungsschichten im Auge, ob als Investoren oder Konsumenten.

Typisch für sie ist die Public-Private-Partnership, bei der die Stadtplanung zunehmend seitens der Investoren selber erfolgt. Räumlich manifestiert sie sich in einem 'Inselurbanismus‘: investitionsrelevante Standorte werden als 'Projekte‘ geplant, die dazwischenliegenden Territorien verschwinden aus dem öffentlichen Bewußtsein. Es entstehen Enklaven, in denen alles bis hin zum letzten perfiden Detail geplant ist, etwa der Beeinflussung des Kaufverhaltens durch Farben, Musik oder den Bodenbelag. Die Territorien dazwischen bleiben außen vor. Und mit ihnen auch die sozial schwächeren und finanziell weniger potenten Bewohner.

Im Zeitalter globalisierter Finanz- und Immobilienmärkte und dem Wechsel von sozialdemokratische zu neoliberalen Politikmodelle verändern sich die europäischen Gesellschaften. Hier stellt sich die Frage nach der Neudefinition europäischer Kultur und Gesellschaft. Eine Wiederbelebung oder Fortführung herkömmlicher sozialstaatlicher Konzepte zu fordern, wäre angesichts deren paternalistsichen Charakters sowie der fehlenden öffentlichen Gelder die falsche Antwort. Die Antwort liegt nicht im Verteidigen alter Besitzstände und Modelle, sondern in der Fortführung egalitärer und sozial verantwortlicher Werte mit innovativen Konzepten.

Hilfreich erweist sich hierbei nicht die Ideen heutigen Städtebaus, sondern ein Blick in die Städte und die in ihnen ohne Planung stattfindenden Prozessen. Für eine solche Betrachtung eignet sich Berlin besonders gut, war es doch in den letzten 50 Jahren aufgrund seiner vielzähligen Brachen quasi ein urbanes Laboratorium zur Untersuchung des Residualen. Die einer marktwirtschaftliche Verwertung entzogenen und scheinbar funktionslosen Räume bildeten einen Nährboden für unerwartete Aktivitäten. Abseits der herkömmlichen gesellschaftlichen Regeln entwickelte sich hier eine enorme Bandbreite von temporären Nutzungen, von Gemüseanbau, Freizeit und Sport über sozialen Initiativen und Dienstleistungen, Alternativ-, Jugend und Popkultur, Kunst- und Musikszene, Nightlife bis hin zu Migrantenökonomien, Handel und Gewerbe, Erfindern und start-up Unternehmen.

Brachräume wurden zu Testarealen für neue Aktivitäten. Sie eröffnen Räume, die Unsicherheit ermöglichen, wo man naiv sein kann. Man kann Experimente mit unklarem Ausgang realisieren. Diese können scheitern - wie es gelegentlich passiert. Oder sie können sehr erfolgreich werden und sich etablieren - dann wird die temporäre Nutzung zum Ausgangspunkt für eine neue Art langfristiger Nutzung.

Residualräume sind Brutkästen zur Züchtung neuer Aktivitäten: Hier entstehen neue Moden und Lebensstile, werden technische Erfindungen gemacht (man denke nur an die Geschichte des Personalcomputers), entstehen neue Formen von Kunst, Musik und Popkultur und begründen sich start-up-Unternehmen. Und obgleich sie fast ohne Geldmittel auskommen, sind sie zentrale Standorten für die Kulturproduktion der jeweiligen Stadt. Denn was sich in Berlin besonders deutlich zeigt, findet sich auch in anderen Städten. Sei es in Helsinki die 'Kabelfactory' oder das 'Magazinii', in München der 'Kulturpark Ost', in Wien das 'KDAG-Gelände' oder das 'Flex' - für das öffentliche Leben in der Stadt spielen diese Orte meist eine vergleichbar wichtige Rolle wie klassische Kulturinstitutionen, wie es sich spätestens beim dem Blick in einen Reiseführer offenbart.

Die temporären Nutzer verfügen über keine oder nur geringe finanzielle Ressourcen und befinden sich meist am Rand oder außerhalb des etablierten Gesellschaftssystems. Für manche - wie Migranten und Existenzgründer - werden temporäre Aktivitäten in Residualräumen zum Sprungbrett für eine Karriere, für andere stellen sie Nischen und Rückzugsräume zum Ausstieg aus etablierten Lebensbildern dar. In beiden Fällen ermöglicht der nahezu unentgeltliche Zugang zu Räumen finanzschwachen Akteuren die Möglichkeit zur aktiven Mitgestaltung von Stadt. Diese recyceln die vorgefundenen Räume und Materialien und realisieren ihre Nutzung mit minimalen physischen Eingriffen - urbanism light. Das Kapital der Nutzer sind nicht Geldmittel, sondern Kreativität, Engagement und soziale Netzwerke. Sie entwickeln sich in der Regel nicht isoliert, sondern in Clustern. Diese entwickeln spezifische Nutzungsprofile und Identitäten und mithin einen typischen Programmix. Während eine solche Profilbildung bei Shoppingcentern von Projektsteuern durch die Auswahl der Mieter künstlich und zentralistisch geplant generiert wird, entwickelt er sich hier über die Zeit aufgrund sozialer Netzwerke und der persönlichen Wertvorstellungen der Beteiligten. Hierbei entstehen auch lokale Ökonomien, in denen sich zwischen den verschiedenen temporären Nutzern nicht-monetäre Tauschverhältnisse ausbilden. Diese werden oft auch in der Beziehung zum Eigentümer wichtiger als der Transfer von Geldmitteln.

Während die Nutzer den Raum zur Verfügung gestellt bekommen, profitiert der Eigentümer von einer Aufwertung und Bekanntwerden der Immobilie, der Etablierung neuer Nutzungsformen am Standort und von einem Schutz vor Verfall und Vandalismus. Zuweilen gibt es Immobilieneigentümer, die von sich aus die Initiative ergreifen, um von diesen nicht-finanziellen Effekten temporärer Nutzungen zu profitieren.

Gemeinhin betrachtet man temporäre Nutzungen als Zwischennutzung, mithin ein ephemeres Phänomen, das ohne langfristige Wirkung bleibt. Bei einer genauer Betrachtung kann man jedoch langfristige Auswirkungen auf drei Ebenen feststellen: Zum ersten verleihen sie ihren Standorten neue Identitäten und etablieren an ihnen neue Formen von Nutzungen, die meist in das angrenzende Stadtquartier ausstrahlen und zuweilen Prozesse der Gentrifizierung in Gang setzen. Zum zweiten werden temporäre Nutzung oft zum Wendepunkt in der Biografie der Akteure, an dem sie ihre eigentliche Lebens- und Berufsperspektive finden, die sie anschließend weiterverfolgen und dabei oft zu völlig neuen Berufsbildern finden. Zum dritten etablieren sich Nutzungen, die auch nach dem Ende einer Zwischennutzung stabil und langfristige bestehen bleiben - entweder indem das Projekt den Ort wechselt und sich an neuen Standorten weiterentwickelt - wie etwa in Berlin Institutionen wie das Haus des Lehrers, das Tempodrom und das WMF -, sich am selben Ort verstetigen - wie etwa die Kunstwerke oder die UFA-Fabrik - oder in dem andere das Nutzungskonzept kopieren. Hierzu ist auch die gesamtkulturelle Ausstrahlung zu zählen, wie etwa die Alternativkultur der 70er Jahre, die Punk-Bewegung der 80er Jahre oder die Techno-Szene der 90er, deren jeweilige Entstehung auf temporäre Nutzungen von Residualräumen zurückzuführen ist.

Diese Phänomene vollziehen sich zunächst jenseits von Architektur und Stadtplanung. Gleichwohl haben sie deutliche Auswirkungen auf Stadtentwicklung und Stadtkultur. Dies war Anlass, das Forschungsprojekt Urban Catalyst [ 1 ] zu begründen, welches die These verfolgt, dass temporäre Nutzungen ein vernachlässigtes Potential darstellen, die eine strategische Rolle an schwer entwickelbaren Immobilienstandorten spielen können und eine wichtige Ergänzung zu kapitalorientierten Stadtentwicklungskonzepten darstellen. Nachdem wir in uns in der ersten Phase des Projektes der Analyse des Phänomens in fünf europäischen Metropolen (Helsinki, Amsterdam, Berlin, Wien, Neapel) gewidmet haben, ziehen wir jetzt aus dem Beobachten Schlussfolgerung für die Praxis von Kommunen und Planern und formulieren Handlungsstrategien.

Was können Planer von Prozessen lernen, die sich ungeplant vollziehen und deren Spontaneität ihr wesentliches Merkmal ist? Und welche Rolle können sie hierbei einnehmen?

Projekt- bzw. Stadtentwicklung erfolgt hier weniger als Planung physischer Maßnahmen und deren Finanzierung denn als Stimulierung von Nutzungen. Diese werden nicht geplant, sondern es werden Rahmenbedingungen geschaffen, um ihre Entwicklung zu ermöglichen oder zu erleichtern. Wesentlich hierbei ist es, die Interaktion zwischen den verschiedenen Beteiligten (Nutzer, Kommune, Eigentümer, Öffentlichkeit) und mithin einen sozialen Prozess zu gestalten. Bei der Analyse stellte sich heraus, das für die Entstehung vermeintlich ungeplanter Nutzungen zumeist Agenten eine zentrale Rolle spielen. Agenten können private Aktivisten oder auch Angestellte in der öffentlichen Verwaltung sein, die meist ohne dafür beauftragt zu sein, sich aus idealistischen Motiven engagieren. Durch die Vernetzung von Akteuren ermöglichen sie temporäre Nutzungen und vermitteln dabei zwischen den verschiedenen und oft schwer überbrückbaren 'Welten' von Administration, Immobilienbranche und Subkultur. Sie sind im besten Sinne 'Ermöglicher' - wie Cedric Price sagen würde - sie legen nichts fest, sondern schaffen neue Möglichkeiten. Mithin initiieren sie einen ergebnisoffenen Prozess, eine emergierende Standortentwicklung, die sie manchmal kuratierend beeinflussen. An den Teststandorten des Forschungsprojekts haben wir inzwischen selber zum Teil eine solche Agentenrolle eingenommen, um die formulierten Handlungsstragien in einer realen Situation zu testen und konkrete Projekte zu realisieren, wie etwa die temporäre Nutzung von Verkehrsrestfläche in Wien oder Zwischennutzungen für den Palast der Republik sowie für ein Heizkraftwerk in Berlin. Dabei geht es uns nicht um die Formulierung eines Endzustands, sondern um das Anstoßen und die Fortführung eines Prozesses. Dafür entwickeln wir ein Inventar von 'Hard- und Softtools', sein es juristische oder administrative Maßnahmen, Formen der Moderation oder Kommunikation, physische Eingriffe oder anderes, die in den verschiedenen Phasen der Prozesse nach Bedarf flexibel angewandt werden können.

Projektbeispiele

Amsterdam: Kinetic North. Instrumentalisierung temporärer Nutzer zur Immobilienentwicklung

Nördliches des Ij-Flußes liegen große, in den 80er Jahren brachgefallene Hafengebiete. Obgleich zum Teil nur wenige hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt, sind sie im öffentlichen Bewusstsein nicht Teil der Stadt. Während in den letzten Jahren am südlichen Ij-Ufer mit großem Aufwand durch Landgewinnung neue Wohngebiete für die wachsende Metropole gewonnen wurde, bietet sich hier ein ungenutztes Potential, welches die Kommune Amsterdam Noord entwickeln möchte. Hierfür verfolgt sie - zugleich als Bodeneigentümer - ein neuartiges Entwicklungskonzept, dessen Kern die temporäre Ansiedlung kultureller Nutzer ist. Sie sollen das Gebiet im öffentlichen Bewusstsein bekannt machen und mittelfristig eine lebendige Nutzungsmischung im neuen Stadtteil sicherstellen sollen. Hierfür steht eine 20.000 qm große Halle sowie große Freiflächen der ehemaligen Schiffswerft von NDSM zur Verfügung. Anfang 2000 wurde ein Wettbewerb durchgeführt, um eine Trägerorganisation für die temporäre Nutzung zu finden. Diesen gewann die Gruppe Kinetic Noord, eine zu diesem Zweck gegründete Initiative aus der ehemaligen Besetzerszene Amsterdams. Sie sehen eine gemischte Nutzung mit über hundert Akteuren unterschiedlicher Couleur vor: Theater, Kleinbetreibe, Handwerker, Künstler, Händler, Existenzgründer, Schiffsbauern Recyclingfirmen usw. Die Kommune stellt 7,5 Millionen Euro für die Sanierung der Halle zur Verfügung, die Nutzer erhalten einen 10 Jährigen Nutzungsvertrag bei einer Miete von 1 Euro/ qm. Das Projekt bildet die Keimzelle für die Entwicklung eines etwa 2 Quadratkilometer großen Stadtteils, in dem in den nächsten Jahren über 3 Mill. Qm Geschoßfläche entstehen sollen.

Berlin: Haus des Lehrer. Züchten von neuen Nutzern - ein selbstorganisiertes Existenzgründerzentrum

Das denkmalgeschützte DDR-Gebäude am Alexanderplatz im Eigentum des Bezirks stand seit 1993 zum Verkauf, doch konnte aufgrund seines renovierungsbedürftigen Zustand und denkmalpflegerischer Auflagen kein Käufer gefunden werden. Nachdem 1998 die letzten Nutzer ausgezogen waren, stand des Gebäude ein Jahr leer, bis sich der Bezirk entschied, es

zu relativ geringer Miete (8,5 Euro ) temporär an über 30 Zwischennutzer aus dem künstlerischen Bereich zu vermieten. Diese wurden mittels eines Bewerbungsverfahren einzeln ausgewählt, bei dem die Interessenten jeweils ein Nutzungskonzept vorlegen mussten und interviewt wurden. Zu Ihnen gehörten unter anderem Architekturbüros, Filmproduzenten, Grafikdesigner, Sound-Gestalter und Künstler, die hier zumeist mit Existenzgründung ihre erste Räumlichkeit bezogen. Obgleich man sich zuvor nicht kannte, entstanden bald ein intensiver Austausch untereinander, der in einer Vernetzung, Projektkooperationen und gegenseitige Beauftragung mündete. Die vermeintliche Disfunktionalität des Hauses förderte mit Ihren zahlreichen kommunikativen Bereichen die Synergie - es entstanden neben wöchentlichen Treffen gemeinsame Veranstaltungen und öffentliche Auftritte der Hausgemeinschaft wie etwa Ausstellungen, Musik-Lounge, Filmvorführung und Sound-Events. Als nach zweijähriger Nutzungszeit die Kündigung erfolgte, war aus der heterogenen Mietergemeinschaft ein kreatives Netzwerk - nahezu ein Label - geworden, die für den gemeinsamen Erhalt kämpften. Dies scheiterte zwar, jedoch suchten und fanden die Akteure eine - wenn auch geteilte - gemeinsame neue Basis: das Haus des Reisens und das Neue Deutschland. Die Zellteilung und ein Überschuss an neuem Raum führte bald zu einem schnellen Anwachsen der Community.

Berlin: RAW. Konsolidierung temporärer Nutzung durch den Konflikt mit Eigentümern.

Das einstige Reichsbahnausbesserungswerk im Besitz der Immobilientöchter der Deutschen Bahn stand seit 1994 leer und wurde im Sommer 1998 von zwei Aktivistinnen entdeckt. Aufbauend auf frühere Projekterfahrung agierten sie als Agentinnen, um einen Ort für alternatives Leben und Kultur zu entwickeln. Als die Bahn das Gelände an den von ihnen gegründeten Verein wegen fehlender Seriosität nicht vermieten wollte, konnten sie den Bezirk überzeugen, für sie als Bindeglied einen Teil des Geländes mit drei Gebäuden (6.000 qm) für zunächst drei Jahre zu mieten, wobei die Kosten von insgesamt 900 Euro / Monat von der Nutzergemeinschaft getragen wird. Nach Etablierung dieses Rahmen fanden sich schnell über 70 Projekte vorwiegend aus dem sozialen und kulturellen Bereich ein.

Aufgrund der vorzeitigen Kündigung des Eigentümers, der das Areal kommerziell entwickeln möchte, konsolidierte sich der Zwischenzeitlich lose gewordene Verbund der Akteure und erzielte durch politischen Druck die Durchführung eines Kooperativen Gutachterverfahrens.

Aus diesem ging der Entwurf des Büros von Kees Christiaanse/ Astoc als Sieger hervor, welches unter Beratung von Studio Urban Catalyst eine Entwicklungsstrategie unter Einbeziehung temporärer Nutzungen formuliert hatte. Obgleich der Entwurf nunmehr in der Umsetzung durch ein herkömmlichen Bebauungsplan unterminiert wird, konnten die Nutzer einen Teilsieg erringen, in dem ihnen die vorübergehende weite Nutzung ihres bisherigen Areals und die dauerhafte Nutzung eines der drei Bauten durch den Eigentümer angeboten wurde. Der Verein bereitet nunmehr die Gründung einer Genossenschaft vor, welche gegebenenfalls die Immobilie kaufen würde und die Projektentwicklung weiterer Teile des Geländes erwägt.

Berlin: WMF. Temporalität als Konzept permanenter Aktualisierung.

Der legendäre Club WMF entstand 1990 mit der Besetzung des ehemaligen Verwaltungssitz der Württembergischen Metallwaren Fabrik in Berlin-Mitte. Nachdem die Firma 1992 ihr einstiges Eigentum rückübertragen bekam, zog der Club - weiterhin illegal agierend - in die Toilettenanlagen unter dem ehemaligen Todesstreifen am Leipziger Platz. Von Kompetenzkonflikte zwischen Polizei und Bundesgrenzschutz profitierend, konnte sich der Club bis 1994 halten. Nach dieser Episode legalisierte sich der Club als GmbH und mietete Räume in der Nähe des Hackeschen Markts als Zwischennutzer. 1997 erfolgte der Umzug in die das unweit gelegene ehemalige Gästehaus des Ministerialrats der DDR und drei Jahre später in Räumlichkeiten in der Ziegelstraße. Stets als Zwischennutzer unsanierter Bauten von niedrigen Mieten profitierend, verzichtet der Club auf Kämpfe um den Verbleib an einem Standort. Die Betreiber sehen im steten Umzug eine Chance für eine permanente Neukonzeption, wobei mehrere Künstler aus recycelten Altmaterialien die Räumlichkeiten von jeweils neu gestalten. Dies hat dazu beigetragen, dass der Club von den Nachtschwärmern nach wie vor als einer der besten und innovativsten Orte angesehen wird.


 
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Fussnoten :
[ 1 ] Gemeinsam mit dem Landschaftsarchitekten Klaus Overmeyer entwickelte der Autor das Forschungsprojekt 'Urban Catalyst', welches von der Europäischen Union im Rahmen der Key Action 4 'City of Tomorrow & Cultural Heritage' des 5. Rahmenprogramms finanziert wird und an dem 11 europäische Partner aus 6 Ländern unter der Federführung der Technischen Universität Berlin beteiligt sind. Weitere Informationen hierzu unter :
Webseite | URBAN CATALYST